Die Garitzer Narrern vom BTC machen ja gerne ein Geheimnis um die Themen ihrer Elferratssitungen. Da lassen sie vorher nichts raus, da halten sie besser dicht als jeder Trappistenmönche mit seinem Schweigegelöbnis. Aber die Speisekarten, die in der sich langsam füllenden Turnhalle auf den langen Tischen liegen, sind verräterisch. Da gibt es die "Knacki-Wurst" (Bratwurst mit Brötchen), den "Wärter-Snack" (Belegtes Laugenbrötchen), die "Alcatraz-Schwimmer" (Maultaschen in Brühe) oder "Sträflingsarbeit" (Folienkartoffel mit Lachs und Quark). Da wusste man, dass ein bestimmter Name an diesem Abend sicher öfter genannt werden würde. Raumgreifende Perspektive Und tatsächlich: Als sich unter lauten Ahs und Ohs der Vorhang öffnet, fällt der Blick auf den Eferrat, der vor der Kulisse eines Gefängnisgangs thront. Der Canaletto-Schüler und Meister der Perspektive, Axel Dürrheimer, und sein Team haben mal wieder ganze Arbeit geleistet. Und über den Häupern prangt das Motto: JVA Garitz - ein Käfig voller Narren". Aber erst einmal gibt es Business as usual. Auch wenn sich nichts wiederholt, ist die Garitzer Elferratssitzung ritualisiert wie eine hohe Messe - nur dass nicht lateinisch geredet wird, sondern goritzerisch. Sitzungspräsident Christian Rüth begrüßt die Gäste - die Garitzer freudig, die Kissinger verhalten, die Reiterswiesener spöttisch, das Rokreutorchester spielt eine schmissige Intrade. Und dann kommen gleich die Garitzer Tanzmäuse. Denn die müssen ins Bett; schließlich haben sie am nächsten Abend noch einen Auftritt. Als Engelchen und Teufelchen tanzen und hüpfen sie ihre moralischen Gegensätze aus und strahlen dabei ganz ernst. Kontinuierliche Aufbauarbeit Überhaupt die Garden. Auch bei den Auftritten der Jugendgarden und den beiden Tänzen der BTC-Garde wird wieder einmal deutlich, was eine gute und kontinuierliche Aufbauarbeit bewirken kann. Bei den Tanzpurzeln kann man schon eine ganze Reihe von echten Bewegungsbegabungen erkennen. Die Jugendgarde stellt sich schon Anforderungen, die über das Spielerische hinaus gehen, die echtes Trainieren und hohes Koordinationsvermögen bedingen - und trotzdem steht schon die unterhaltsame Show im Vordergrund. Die jungen Damen der Tanzgarde sind angekommen. Bei ihnen sitzt jede gemeinsame Bewegung perfekt, ohne deshalb militärisch zu wirken. Es sind harte Anforderungen, aber sie transportieren den Eindruck des Lockern, des Koketten. Dass sie die anspruchsvolle Choreographie für ihren Showtanz hinter Gittern selbst entworfen haben, spricht auch für ihre Ausbildung Es macht Spaß, die drei Garden auch in ihrem Zusammenhang zu sehen. So kann man es auch sehen Dann die erste Büttenrede: Nico Sauer spießt die große Politik auf, stürzt sich auf die Reiznamen zwischen München, Berlin und New York, erklärt, wen er warum als "Kommissar" in die JVA gebracht hat: Merkel, Seehofer, Hoeneß, Niebel, Ecclestone, Gribkowski, Wulf und Konsorten - man genießt seine pointierte, mitunter überspitze Ausdrucksweise und lässt sich von ihm in die amüsierte Politikverdrossenheit treiben. Der erwartete Name fällt nicht. Auch nicht bei den beiden anderen Büttenrednern Thomas Rüth jun. und Benedikt Rüth. Die nehmen den historischen Sinn dieser Reden ganz ernst als Kritik an der Obrigkeit im Schutze des Faschings. Bei ihnen gibt es keine abgestandenen oder schlüpfrigen Kamellen rund um die Gürtellinie, sondern knallharte lokalpolitische Abrechnung. Auch wenn Thomas Rüth als Häftling auf die Bühne kommt wie der mit dem erwarteten Namen nach 40 Jahren Dunkelhaft, beklagt er sein Los als Gefangener der Kissinger - und nicht nur seins, sondern auch dass eines ganzen Dorfes. Man muss sich ja nur mal die Straßen anschauen. Staat und Stadt am Pranger Benedikt Rüth nutzt sein Amt als Gefängnisdirektor, um dem Staat und der Stadt die Leviten zu lesen. Themen hatte er genug, nicht nur Steigenberger und Fürstenhof, wo er Stationen einen verheerenden Politik nannte. Da blieb manchem Narren das Lachen im Hals stecken. Etwas Wehmut überschattete den Auftritt der BTC-Sänger, die in ihrer bewährten Besetzung und mit ihrer knochentrockenen Ironie antraten. Denn sie mussten sich von dem Mann verabschieden, ohne den sie nicht zu dem geworden wären, was sie heute sind: Dr. Johannes R. Köhler (81) hat sich entschlossen sich zurückzuziehen und den Platz für Jüngere frei zu machen. "48 Jahre lang hast du für uns Texte und Arrangements geschrieben. Das bedeutet unterm Strich 150 Lieder", sagte Christian Rüth . Köhler, der sein erstes Lied, "Wenn ich mei Göritzer See net seh'" noch einmal sang, fiel der Abschied nicht leicht. Die Garitzer feierten ihn mit minutenlangem Applaus. Dass er auch von André Köstner vom FFV den höchsten Orden des Deutschen Fasnachtsverbandes erhielt, war da eher eine Randerscheinung. Abschied von der Aktionsgruppe Überhaupt war die Sitzung eine Sitzung des Abschieds. Die Aktionsgruppe hatte mit überbordemnder Fantasie zwei Auftritte vorbereitet: einen Grenzübergang von Bad Kissingen nach Garitz, an dem die Kissinger Narren erst einmal gefilzt und in Quarantäne gesteckt werden. Und einen Fernsehgucker, der den Garitzer Tatort schaut, dabei einschläft und die grässlichsten Traume erlebt. Das griffen sie tief in die Slapstick- und Requisitenkiste, machten enorm Tempo und rissen die Zuschauer mit. Und natürlich fehlten auch die Parodien nicht: Matthias Scheit als Conchita Wurst oder Felix Kessler als Helene Fischer - da tobte der Saal. Aber am Ende verabschiedete sich Robert Stadtmüller, der die Gruppe 17 Jahre geleitet und vorher schon 16 Jahre in der Küche gewirbelt hatte. Um ihre Emeritierung hatte auch Iris Scheit gebeten. Sie spielte noch einmal die Rolle, mit der sie vor zwölf Jahren das erste Mal aufgetreten war: Cecilia Bartoli. Die war gerne wieder nach "Garice" gekommen, weuil die JVA sie so sehr an ihre italienische Heimat erinnert. Und sie hatte im Keller vom Riedmann Schorsch die Originalfassung des Gefangenenchores aus "Nabucco" gefunden, die Verdi bei einem Kurzbesuch geschrieben hat. Da heißt es allerdings: "Hier in Goritz, ja, da will ich leben." Offenbar war die Garitzer JVA damals schon angenehmer als der Knast in Babylon. Der Dreggsagg schlägt zu Ja, und zum Schluss der "Dreggsagg": Michl Müller war mal wieder enorm gut drauf: Wandern (des Müllers Lust) als Frustabbau - da konnte er reichlich über die Bühne tigern. Er ließ nichts ausm, womit er den Garitzern auf die Zehen treten konnte: von dem runterziehenden Motto der Elferratssitzung über die Besutzer von Kaffeemaschinen und Besucher der Romantikhotels bis zu dem Thema "Frau und Mann im Gartencenter" - und das in einem Tempo, das nach Mitternacht alle Konzentration forderte. Fünfeinhalb Stunden waren vergangen, und der bestimmte Name ist nicht einmal erwähnt worden. Man geht aus der Halle und hat den Eindruck, dass das nicht aus Phantasielosigkeit geschah, sondern aus Anstand.

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Saale-Zeitung vom 02.02.2015

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